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19. Februar 2021

Beteiligungen der Sozialversicherungsträger an Einrichtungen gemäß §§ 83, 85 SGB IV einschließlich ihrer Mitgliedschaften in Arbeitsgemeinschaften nach § 94 Abs. 1a SGB X

Sehr geehrte Damen und Herren,

zuletzt mit Rundschreiben vom 5. November 2020 hatten wir Sie auf die Beachtung der Insolvenzordnung (InsO) hingewiesen. Überwiegend zum 1. Januar 2021 ist das SanInsFoG (Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts/Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz, BGBl. 2020 I., S. 3526 ff.) in Kraft getreten. Durch das SanInsFoG wurden die Insolvenzordnung und weitere Gesetze geändert sowie das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz -StaRUG) in Kraft gesetzt.

Wir bitten Sie, dieses Rundschreiben an alle Einrichtungen nach § 83 Abs. 1 Nr. 7 SGB IV (Beteiligungsgesellschaften) und Arbeitsgemeinschaften zu übersenden, an denen Ihr Sozialversicherungsträger unmittelbar bzw. mittelbar beteiligt oder bei denen er Mitglied ist.

Sozialversicherungsträger können gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 7 SGB IV i. V. m. § 85 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 SGB IV Einrichtungen gründen oder erwerben, sich an Einrichtungen beteiligen oder eine Beteiligung an einer Einrichtung erhöhen. Dies ist nur zulässig, wenn die Zweckbestimmung der Mittelhingabe vorwiegend den Aufgaben des Sozialversicherungsträgers dient (vgl. §§ 83 Abs. 1 Nr. 7, 30 Abs. 1 SGB IV). In der Regel erfolgt die Beteiligung über den Erwerb von Anteilen an privatrechtlich organisierten Kapital- oder Personengesellschaften (u.a. GmbH, AG, Genossenschaft, GbR), ggf. auch durch die Mitgliedschaft in eingetragenen Vereinen. Soweit die Einrichtung die Voraussetzungen des § 94 Abs. 1a SGB X erfüllt, handelt es sich um eine Arbeitsgemeinschaft.

Wir bitten Sie, die Regelungen des SanInsFoG zu beachten und aktuelle Rechtsentwicklungen zu beobachten. Nachfolgend gehen wir - nicht abschließend - auf einige Aspekte der Neuregelung ein.

1. StaRUG
a) Krisenfrüherkennung und -management

§ 1 StaRUG trifft eine Regelung zu Krisenfrüherkennung und -management bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern. Geschäftsleiter wachen nach Absatz 1 fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person oder einer Gesellschaft im Sinne des Absatzes 2 gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den Überwachungsorganen unverzüglich Bericht. Die Geschäftsleiter wirken darauf hin, dass sich andere zuständige Organe mit den zu ergreifenden Maßnahmen befassen. Weitergehende Pflichten aus anderen Gesetzen bleiben nach Absatz 3 unberührt.

b) Stabilisierungs- und Sanierungsrahmen
Das StaRUG regelt einen präventiven Restrukturierungsrahmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit. „Es wird ein Rechtsrahmen zur Ermöglichung insolvenzabwendender Sanierungen geschaffen, der es Unternehmen ermöglicht, sich auf der Grundlage eines von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans zu sanieren“ (Bundesrat Drucksache 619/20, S. 1).

aa) drohende Zahlungsunfähigkeit
Gemäß § 18 Abs. 2 InsO droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. In aller Regel ist ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen. Durch das SanInsFoG wird der maßgebliche Prognosezeitraum nunmehr gesetzlich festgelegt.

Bei drohender Zahlungsunfähigkeit sind eine Restrukturierung nach dem StaRUG oder ein Insolvenzverfahren möglich. Gemäß § 18 Abs. 1 InsO ist die drohende Zahlungsunfähigkeit ein Eröffnungsgrund, wenn der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. 29 StaRUG sieht zur nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Instrumente) vor (s. u.).
Gemäß § 42 StaRUG besteht während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache eine strafbewehrte Anzeigepflicht bei Eintritt der  Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 InsO) oder bei Eintritt der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO). Die Anzeige beim Restrukturierungsgericht muss ohne schuldhaftes Zögern erfolgen.

bb) Restrukturierungsplan
Gemäß §§ 2 ff. StaRUG können Rechtsverhältnisse auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans gestaltet werden. Bestimmte Rechtsverhältnisse sind allerdings ausgenommen (§ 4 StaRUG), z. B. Forderungen von Arbeitnehmern/ Arbeitnehmerinnen im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis.

Der Restrukturierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. Aus der Anlage zum StaRUG ergibt sich, welche Angaben der Restrukturierungsplan mindestens enthalten muss. Im darstellenden Teil (§ 6 StaRUG) wird das Restrukturierungskonzept dargelegt. Der gestaltende Teil (§ 7 StaRUG) legt fest, wie die Rechtsstellung der sog. Planbetroffenen durch den Plan geändert werden soll. Die Planbetroffenen sind nach sachgerechten Kriterien auszuwählen (§ 8 StaRUG) und in Gruppen einzuteilen (§ 9 StaRUG).

Den Planbetroffenen ist ein Planangebot zu machen (§ 17 Abs. 1 StaRUG), d.h. das Angebot, den Restrukturierungsplan anzunehmen. Möglich sind ein außergerichtliches (§§ 17 ff. StaRUG) oder ein gerichtliches Planabstimmungsverfahren (§ 23 StaRUG).

Die §§ 24 ff. StaRUG legen Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten fest. Zur Annahme des Restrukturierungsplans ist in jeder Gruppe der Planbetroffenen eine Zustimmung von ¾ der Stimmrechte erforderlich (§ 25 StaRUG). § 26 StaRUG ermöglicht allerdings gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidungen, d.h. unter bestimmten Voraussetzungen gilt die Zustimmung einer Gruppe als erteilt, obwohl diese Gruppe dem Restrukturierungsplan nicht mit der erforderlichen Mehrheit zugestimmt hat.

cc) Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens
Zur nachhaltigen Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) sieht § 29 StaRUG Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens (Instrumente) vor. Deren Inanspruchnahme setzt eine Anzeige beim Restrukturierungsgericht (§ 31 StaRUG) voraus.

§ 30 StaRUG legt die Restrukturierungsfähigkeit fest, d.h. wer die Instrumente in Anspruch nehmen kann. Das ist grundsätzlich jeder insolvenzfähige Schuldner (§ 30 Abs. 1 Satz 1 StaRUG).
§ 29 Abs. 2 StaRUG zählt als Instrumente auf:
1. die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens (gerichtliche Planabstimmung),
2. die gerichtliche Vorprüfung von Fragen, die für die Bestätigung des Restrukturierungsplans erheblich sind (Vorprüfung),
3. die gerichtliche Anordnung von Regelungen zur Einschränkung der individuellen Rechtsdurchsetzung (Stabilisierung) und
4. die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung).
Das Restrukturierungsgericht kann beispielsweise durch eine Stabilisierungsanordnung für eine bestimmte Zeit eine Vollstreckungs- und Verwertungssperre (§ 49 StaRUG) anordnen. Mit der Planbestätigung durch das Restrukturierungsgericht treten die im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans festgelegten Wirkungen ein. Dies betrifft auch Planbetroffene, die gegen den Restrukturierungsplan gestimmt haben (§ 67 Abs. 1 StaRUG). Weitere Wirkungen, die mit der Planbestätigung eintreten, sind in den §§ 67 ff. StaRUG geregelt.

2. Änderung der InsO
Durch Art 5 des SanInsFoG wurden Regelungen der InsO geändert. Einige dieser Änderungen sind:

a) Zahlungen bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (§ 15b InsO)
Gemäß § 15b InsO dürfen die antragspflichtigen Mitglieder des Vertretungsorgans (§ 15a Abs. 1 Satz 1 , Abs. 6 InsO) und Abwickler einer juristischen Person nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung der juristischen Person keine Zahlungen mehr für diese vornehmen. Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind. Weiteres regeln die folgenden Absätze des § 15b InsO.
Regelungen zu Zahlungsverboten nach dem Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung waren bisher in gesellschaftsrechtlichen Regelungen (z. B.§ 92 Abs. 2 AktG, § 64 GmbHG) enthalten. Diese fallen durch das SanInsFoG weg.

b) Antrag auf Insolvenzeröffnung
Bei Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO oder einer Überschuldung gemäß § 19 InsO müssen nach § 15a InsO die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag auf Insolvenz stellen. Der Antrag ist gemäß § 15a Abs. Satz 2 InsO spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Somit ist „der maximale Zeitraum für die Antragspflicht bei Überschuldung auf sechs Wochen erhöht“ worden, „um dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, Sanierungen im präventiven Restrukturierungsrahmen oder auf der Grundlage eines Eigenverwaltungsverfahrens ordentlich und gewissenhaft vorzubereiten“ (Bundesrat Drucksache 619/20, S. 2).
Durch den Wortlaut „ohne schuldhaftes Zögern“ sind die gesetzlichen Vertreter verpflichtet, stets umfassend über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft informiert zu sein, um Hinweise auf eine Insolvenzgefährdung rechtzeitig zu erkennen. Im Fall der Führungslosigkeit einer GmbH ist auch jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer AG oder einer Genossenschaft auch jedes Mitglied des Aufsichtsrates zur Stellung des Antrags verpflichtet (§ 15a Abs. 3 InsO).
Nicht anzuwenden sind die Insolvenzeröffnungsantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO sowie die Absätze 2 bis 6 des § 15a InsO gemäß § 15a Abs. 7 InsO für Vereine und Stiftungen, für die § 42 Abs. 2 BGB gilt. Zu beachten ist, dass § 13 InsO formale Anforderungen an den Insolvenzeröffnungsantrag stellt. Die Nichtbeachtung führt auch zu Strafbarkeits- (§ 15a Abs. 4 und 5 InsO) und Haftungsrisiken.

c) Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO)
Nicht geändert wurde § 17 InsO. Gemäß § 17 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er seine bestehenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr begleichen kann. Dieser Fall liegt vor, wenn ein Schuldner nicht binnen drei Wochen in der Lage ist, 90 % seiner Gesamtverbindlichkeiten auszugleichen. Übersteigt die Deckungslücke bzw. die Liquiditätslücke nach der Drei-Wochen-Frist die fälligen Gesamtverbindlichkeiten um mehr als 10 %, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Von der Regel kann nach Auffassung des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) ausnahmsweise abgewichen werden, wenn „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke zeitnah vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zumutbar ist (Urteil des BGH vom 24. Mai 2005 - Az.: IX ZR 123/04; IDW Standard 11, Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen, RdNr. 13 ff., Stand: 22. August 2016).

d) Überschuldung (§ 19 InsO)
Eine Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Ein geeignetes Mittel, um das Vorliegen einer Insolvenzeröffnungsantragspflicht zu prüfen, ist die Erstellung einer Überschuldungsbilanz. Für die Beurteilung des Insolvenzgrundes der Überschuldung ist die Fortführungsprognose maßgeblich (§ 19 Abs. 2 InsO: „es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“). Der Gesetzgeber hat durch das SanInsFoG den Zeitraum, der einer Fortführungsprognose zugrunde zu legen ist, auf zwölf Monate beschränkt (Bundesrat Drucksache 619/20, S. 228 f.). Eine positive Fortführungsprognose setzt voraus, dass aus objektiver Betrachtung stets eine ausreichende Liquidität für diesen Prognosezeitraum vorliegt. Um objektiv eine ausreichende Liquidität sicherzustellen, ist eine Prognoserechnung erforderlich, aus der ersichtlich wird, dass das Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (> 50 %) über ausreichende Liquidität verfügen wird und zahlungsfähig bleibt, d.h. die Fortführung muss objektiv erfolgversprechend sein (vgl. Arnold in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Auflage 2021, RdNr. 6). Eine positive Fortführungsprognose setzt zudem voraus, dass der subjektive Wille erkennbar ist, das Unternehmen fortzuführen.
Das IDW hat zur Erstellung eines Sanierungskonzepts den Prüfungsstandard 6 (Anforderungen an Sanierungskonzepte, Stand: 16. Mai 2018) herausgegeben. Das Bundesamt für Soziale Sicherung sieht es als erforderlich an, dass stets ein Sanierungskonzept in Anlehnung an den IDW S 6 erstellt wird, da dieser Standard von der Finanzwirtschaft zur Absicherung von Finanzierungen eingefordert wird.

Bereits bei Vorliegen einer drohenden Liquiditätslücke oder bei einer Überschuldung ist das Bundesamt für Soziale Sicherung unverzüglich zu informieren. Ebenso ist das Bundesamt für Soziale Sicherung unmittelbar zu unterrichten, wenn gemäß § 15a InsO ein Insolvenzantrag gestellt worden ist oder eine Restrukturierung nach dem StaRUG erfolgt.

3. Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes
Aus aktuellem Anlass machen wir auf die einschlägigen Regelungen im Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz) und dessen Änderung durch Art 10 SanInsFoG aufmerksam. Die Informationspflichten gegenüber dem BAS bleiben von den pandemiebedingten Sonderregelungen unberührt.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Reiner Müller