Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung – Ausgliederung von Aufgaben auf Dritte
Sehr geehrte Damen und Herren,
das BSG hat mit seinen Urteilen vom 30. August 2023 (Az.: B 3 A 1/23 R und B 1 A 1/22 R) klargestellt, dass es Pflegekassen gänzlich untersagt ist, Aufgaben auf Dritte auszugliedern.
Ferner hat es in Anknüpfung an die Entscheidung vom 8. Oktober 2019 (Az.: B 1 A 3/19 R) ausgeführt, dass die Auslagerung von Aufgaben der gesetzlichen Krankenkassen, die ihnen im Verhältnis zu den Versicherten gesetzlich übertragen worden sind, unzulässig ist. Träger der Sozialversicherung haben ihre Aufgaben „durch eigene Verwaltungseinrichtungen - mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln“ wahrzunehmen (BSG, Urteil vom 30. August 2023, Az B 3 A 1/23 R, RdNr. 16).
Gegenstand der Rechtsstreite waren Klagen von Kranken- und Pflegekassen gegen Verpflichtungsbescheide des BAS, mit welchen das BAS zur Kündigung von Dienstleisterverträgen der Kassen mit privaten Dritten aufgefordert hatte. Die dem Dienstleister übertragenen Aufgaben betrafen die inhaltliche Prüfung versicherungs- und leistungsrechtlicher Voraussetzungen an Versicherte. Wie das BSG deutlich formuliert gehören diese Aufgaben zu den wesentlichen Aufgaben des Trägers, deren Ausgliederung unzulässig ist.
Ferner stellt das Gericht klar, dass sich die Frage der Wesentlichkeit einer Aufgabe nicht nach dem Schwierigkeitsgrad ihrer Erledigung bemisst, sondern nach ihrer Bedeutung für den Versicherten, so dass es keine einfachen Unterstützungsaufgaben zur Versorgung der Versicherten gibt, die ausgegliedert werden können (BSG, Urteil vom 30. August 2023, Az B 3 A 1/23 R, RdNr. 27). Dies ergänzt die Entscheidung des 1. Senats, dass es nicht darauf ankommt, ob die ausgelagerten Leistungen als bloße „Unterstützungsleistungen“, die nicht zum Kernbereich der Versorgungsleistungen einer Krankenkasse gehören sollen, deklariert werden (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2019, Az.: B 1 A 3/19 R, Juris-RdNr. 28).
Konkret hatte das Gericht über die Beteiligung eines privaten Dienstleisters als „Fallbearbeitungsunterstützung“ bei der Prüfung der Voraussetzungen für die teilweise Zuzahlungsbefreiung nach § 62 SGB V zu entscheiden. Auch dieser komme aus der Sicht Betroffener – insbesondere chronisch Kranker – eine erhebliche Bedeutung für die Absicherung im Krankheitsfall zu (BSG, Urteil vom 30. August 2023, Az B 3 A 1/23 R, RdNr. 33), weshalb eine Auslagerung dieser Aufgaben auf private Dritte unzulässig ist.
Das Gericht sieht nicht nur Aufgaben im Rahmen der Leistungsgewährung, sondern auch damit zusammenhängende Verwaltungstätigkeiten wie die Berechnung der Belastungsgrenze als wesentliche Aufgabe zur Versorgung der Versicherten an. Es spricht insoweit auch von der „Erledigung versichertenbezogener Verwaltungsaufgaben“ (BSG, Urteil vom 30. August 2023, Az B 3 A 1/23 R, RdNr. 27), die nicht - auch nicht teilweise - auslagerungsfähig sind. Hiervon erfasst ist auch die Prüfung der Mitgliedschaft (BSG a.a.O. RdNr.. 29). Während in der gesetzlichen Krankenversicherung unter den Voraussetzungen des §197bSGB V und unter Beachtung dieser Rechtsprechung eine Auslagerung von Aufgaben auf private Dritte grundsätzlich zulässig ist, fehlt es an einer entsprechenden Regelung in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Pflegekassen dürfen daher, soweit nicht eine spezialgesetzliche Regelung dies im Einzelfall ausdrücklich erlaubt, keine Aufgaben auf private Dienstleister auslagern.
Ihnen stehen allerdings weiterhin andere Möglichkeiten der Auslagerung von Aufgaben zur Verfügung. So kann nach § 88 SGB X ein Leistungsträger unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift einen anderen Leistungsträger oder seinen Verband mit der Wahrnehmung einer ihm obliegenden Aufgabe beauftragen. Dabei ist es auch zulässig, die Aufgabe auf einen 100%igen Eigenbetrieb eines anderen Sozialversicherungsträgers zu übertragen. Weiter besteht nach § 94 SGB X die Möglichkeit einer gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung durch die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE), die dann unter den Voraussetzungen des § 88 Abs. 1 SGB X sehr weitreichende Aufgaben wahrnehmen kann. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die jeweilige Pflegekasse Mitglied der ARGE sein muss – der Abschluss eines Dienstleistungsvertrages mit einer ARGE, in der sie nicht Mitglied ist, wäre wiederum ein unzulässiges Outsourcing.
Wir weisen aus gegebenem Anlass darauf hin, dass diese Rechtsprechung des BSG nicht durch den Abschluss von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen umgangen werden darf.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Antje Domscheit