Rundschreiben KV
30. Dezember 2019

Formanforderungen an ein Dienstsiegel

An
An die bundesunmittelbaren Krankenkassen
nachrichtlich
Bundesministerium für Gesundheit
Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Aufsichtsbehörden der Länder
GKV-Spitzenverband

Sehr geehrte Damen und Herren,

aus gegebenem Anlass möchten wir auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2016 (Az.: V ZB 88/16) zu den Formanforderungen an ein Dienstsiegel hinweisen und in Ergänzung unseres Rundschreibens vom 10. April 2012 (Az.: 111 – 4060.10 -149/2012) nachstehend über den Inhalt des o.g. Beschlusses und die sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergebenden Auswirkungen für die gesetzlichen Krankenkassen informieren:

I. Inhalt des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2016

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zunächst entschieden, dass ein lediglich drucktechnisch erzeugtes Behördensiegel den im Grundbuchverfahren geltenden Formanforderungen des § 29 Abs. 3 GBO a.F. für ein Behördenersuchen nicht genügt.
Erforderlich ist demnach vielmehr eine individuelle Siegelung mit einem Prägesiegel oder einem Farbdruckstempel.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung waren gemäß § 29 Abs.3 GBO a.F. Erklärungen oder Ersuchen einer Behörde, auf Grund deren eine Eintragung vorgenommen werden sollte, zu unterschreiben und mit Siegel oder Stempel zu versehen.

Dies setzt nach der Auffassung des BGH aus den folgenden Gründen eine individuelle Siegelung mit einem Prägesiegel oder einem Farbdruckstempel voraus:

1.
Bei dem in § 29 Abs. 3 GBO a.F. genannten Siegel oder Stempel muss es sich entweder um ein Prägesiegel oder um einen Farbdruckstempel handeln, da die insoweit erforderliche Beidrückung des Siegels die Vermutung der Ordnungsgemäßheit der Erklärung und daher auch die Vertretungsbefugnis des Unterzeichners begründe.

Dabei differenziere der Gesetzgeber. Sei der elektronische Rechtsverkehr eingeführt, trete an die Stelle der o.g. Formerfordernisse das Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur (vgl. § 137 Abs. 2 GBO).
Verlange jedoch eine Vorschrift außerhalb des elektronischen Rechtsverkehrs, dass ein Dokument mit einem Siegel oder Stempel zu versehen sei, bedürfe es einer individuellen Siegelung mit einem Prägesiegel oder einem Farbdruckstempel.
Eine Ausnahme hiervon gelte nur dann, wenn der Gesetzgeber ein elektronisch oder drucktechnisch erzeugtes Siegel als ausreichend erachte, die mit der Anbringung eines Siegels bezweckte Authentizitätsfunktion zu gewährleisten. Eine solche Regelung sei im Zusammenhang mit den formalen Anforderungen i.S.d. § 29 Abs. 3 GBO a.F. nicht getroffen worden.

2.
Der BGH hat in diesem Zusammenhang seine Ausführungen insbesondere mit der Übereinstimmung zwischen § 29 Abs. 3 GBO a.F. und des eine vergleichbare Regelung enthaltenden § 725 ZPO begründet und dabei grundsätzliche Aussagen zu den Voraussetzungen des § 725 ZPO getroffen.

Gemäß § 725 ZPO sei die Vollstreckungsklausel der Ausfertigung des Urteils am Schluss beizufügen, von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.

Insoweit entspreche es nahezu allgemeiner Auffassung, dass die Verwendung eines Formulars mit einem bereits vorgedruckten bzw. nur eingedruckten Dienstsiegel diesen Formanforderungen nicht genüge. Auch ein programmgesteuertes und zeitgleich mit der Erklärung auf dem Dokument angebrachtes Dienstsiegel genüge den Anforderungen des § 725 ZPO nicht.

Die „Beidrückung“ des Dienststempels im Rahmen des § 725 ZPO stelle vielmehr eine besondere Sicherungsmaßnahme dar und verschaffe dem Vollstreckungsorgan die zuverlässige Gewissheit darüber, der zuständige, weil zur Führung des regelmäßig verschlossen zu haltenden Siegels berechtigte Beamte habe die Bescheinigung erteilt. Verstärkt werde diese Authentizitätsfunktion des Siegels noch dadurch, dass die Dienstsiegel üblicherweise fortlaufend zu nummerieren seien (vgl. z.B. § 6 Abs. 2 AvWpG) und bei Abhandenkommen für kraftlos erklärt werden können.

Einem bloß drucktechnisch erzeugten Behördensiegel komme demgegenüber aufgrund der derzeitigen Einschätzung des Gesetzgebers kein vergleichbarer Beweiswert zu.
Solle gleichwohl aufgrund einer weithin maschinellen Bearbeitung durch einen Computer oder Formulardruck eines Siegels im Rahmen des § 725 ZPO ausreichen, bedürfe es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, wie dies etwa in § 703b ZPO erfolgt sei, nicht jedoch für den Regelungsbereich des § 725 ZPO.

Dabei sei auch eine unterschiedliche Interpretation des Tatbestandsmerkmals „Versehens mit einem Dienstsiegel“ i.S.d. § 725 ZPO einerseits und i.S.d. § 29 Abs. 3 GBO a.F. andererseits nicht gerechtfertigt. In beiden Fällen solle die Siegelung - zusammen mit der Unterschrift - eine gesteigerte Gewähr für die Echtheit des Dokuments bieten, weil der Gesetzgeber den von den Normen geschützten Rechtsgütern eine besondere Bedeutung beimesse. Ohne eine gemäß §§ 724, 725 ZPO erteilte vollstreckbare Ausfertigung dürfe ein Vollstreckungsorgan grundsätzlich keine Vollstreckungsmaßnahme durchführen.

II. Auswirkungen der Entscheidung

Wie sich aus der o.g. Begründung des Beschlusses ergibt, sind somit die folgenden, über die Norm des § 29 Abs. 3 GBO a.F. hinausgehenden grundlegenden Aussagen, die die Anforderungen an ein Dienstsiegel im Rahmen der Zwangsvollstreckung gemäß § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 704ff. ZPO betreffen, zu beachten:

1.
Im Rahmen der Zwangsvollstreckung ist es gemäß § 66 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 704ff. ZPO zur Erfüllung der Formvorschriften nicht ausreichend, ein Formular mit einem bereits vorgedruckten bzw. nur eingedruckten Dienstsiegel zu verwenden.
Auch ein programmgesteuertes und zeitgleich mit der Erklärung auf dem Dokument angebrachtes Dienstsiegel genügt den Anforderungen des § 725 ZPO nicht.
Vielmehr setzt das „Versehen mit einem Dienstsiegel“ i.S.d. § 725 ZPO eine individuelle Siegelung mit einem Prägesiegel oder einem Farbdruckstempel voraus.

2.
Die vollstreckbare Ausfertigung muss überdies die eigenhändige Unterschrift der in § 66 Abs. 4 Satz 3 SGB X genannten Person tragen. Dies ist in aller Regel der von der Aufsichtsbehörde bestellte Vollstreckungsbeamte, der die auf der vollstreckbaren Ausfertigung des Leistungsbescheids vermerkte Vollstreckungsklausel zu unterschreiben hat. Diese hoheitliche Aufgabe kann insbesondere nicht i.S.d. § 197b Satz 1 SGB V von Dritten wahrgenommen werden.

Auf die letztgenannte Problematik hat das Bundesversicherungsamt unter Bezug auf einen Beschluss des BGH vom 25. Oktober 2007 (Az.: I ZB 19/07) bereits mit Rundschreiben vom 10. April 2012 (Az.: 111 – 4060.10 – 149/2012) hingewiesen.

Insbesondere ist zu beachten, dass der Gesetzgeber im Nachgang zu dem o.g. Beschluss des BGH – und im Gegensatz zu § 29 Abs. 3 GBO, der in der ab dem 5. Juli 2017 geltenden Fassung nunmehr um die Möglichkeit der Verwendung eines maschinell angebrachten Dienstsiegels ergänzt worden ist – für § 725 ZPO von einer solchen gesetzgeberischen Erweiterung weiterhin keinen Gebrauch gemacht hat.

Für den Bereich der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 704ff ZPO erachtet der Gesetzgeber ein elektronisch oder drucktechnisch erzeugtes Siegel somit auch derzeit nicht als ausreichend, um die mit der Anbringung eines Siegels bezweckte Authentizitätsfunktion zu gewährleisten.
Vielmehr misst der Gesetzgeber den von § 725 ZPO geschützten Rechtsgütern eine derart besondere Bedeutung bei, dass im Rahmen des § 725 ZPO auch weiterhin allein die individuelle Siegelung - zusammen mit der eigenhändigen Unterschrift - eine gesteigerte Gewähr für die Echtheit des Dokuments bieten.

Wir bitten daher, die zu § 725 ZPO getroffenen o.g. Ausführungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung vollumfänglich zu berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Gez. (Popoff)