Rundschreiben KV
10. Februar 2021

Gesetzeskonforme Umsetzung der Beratung und Hilfestellung nach § 44 Abs. 4 SGB V

An
alle bundesunmittelbaren Krankenkassen
nachrichtlich
Bundesministerium für Gesundheit
Aufsichtsbehörden der Länder
GKV-Spitzenverband

Sehr geehrte Damen und Herren,

in unserer Aufsichtspraxis erreichen uns immer wieder Beschwerden von Versicherten, aber auch stellvertretend von Leistungserbringern und anderen Institutionen aus dem Gesundheitswesen, in denen über eine als unzulässig und belastend empfundene Einflussnahme der Krankenkassen im Rahmen der Beratung zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach § 44 Abs. 4 SGB V berichtet wird.

Wir nehmen dies zum Anlass, auf folgende Aspekte zur gesetzeskonformen Umsetzung des § 44 Abs. 4 SGB V hinzuweisen:
Die Beratung und Hilfestellung für Versicherte im Krankengeldbezug sowie die dazu erforderliche Verarbeitung personenbezogener Daten darf nur nach vorheriger schriftlicher oder elektronischer Information und mit schriftlicher oder elektronischer Einwilligung des Versicherten erfolgen. Eine vorherige telefonische Kontaktaufnahme wäre allenfalls zur bloßen Ankündigung einer schriftlichen Information denkbar; dies gilt auch für Telefonate mit Versicherten, die zunächst aus anderem Anlass erfolgen. Jeder weitergehende Austausch mit dem Versicherten ist dagegen erst zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 SGB V erfüllt sind. Wir verweisen insoweit auch auf das Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes zur Umsetzung des Anspruchs nach § 44 Abs. 4 SGB V (RS 2019/148 vom 26. März 2019).

Der Versicherte kann die Einwilligung jederzeit widerrufen. Auch hierauf ist er durch die Krankenkasse hinzuweisen. Macht er von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, sind die auf Grundlage seiner Einwilligung gespeicherten Daten unverzüglich nach Artikel 17 Abs. 1 VO (EU) 2016/679 (EU-Datenschutzgrundverordnung) zu löschen. Um dies im Einzelfall vollziehen zu können, sind die Daten seitens der Krankenkassen entsprechend zu kennzeichnen.

Aus dem Vorgenannten ergibt sich, dass die Inanspruchnahme der Beratung und Hilfestellung nach § 44 Abs. 4 SGB V freiwillig ist. In der Folge darf eine Ablehnung des Hilfeangebots oder der Einwilligung in die Datenverarbeitung keine leistungsrechtlichen Konsequenzen haben. Ebenso dürfen Krankenkassen hierbei keinerlei Druck auf arbeitsunfähige Versicherte ausüben, beispielsweise diese zur Inanspruchnahme bestimmter Maßnahmen drängen.

Die Beratung und Hilfestellung durch die Krankenkasse nach § 44 Abs. 4 SGB V endet dort, wo nach § 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V der Medizinische Dienst einzuschalten ist, also insbesondere zur Prüfung von Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolges oder zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit. Im Rahmen des § 44 Abs. 4 SGB V dürfen daher weder zusätzliche Daten erhoben werden, die der Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit dienen, noch zusätzlich erhobene Daten verwendet werden, um die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit zu überprüfen. Anders als im Rahmen des
§ 44 Abs. 4 SGB V kann in Zusammenhang mit der Prüfung des Krankengeldanspruchs ggf. eine Mitwirkung des Versicherten erforderlich sein und ein Unterbleiben Folgen haben. Wir raten daher, beide Bereiche auch in der Kommunikation mit dem Versicherten strikt zu trennen, bzw. die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und daraus folgenden Konsequenzen nachvollziehbar zu erläutern. Nach den uns vorliegenden Beschwerden führen Mängel hierbei verständlicherweise zu Irritationen bei Versicherten.

Zur Beurteilung der Frage, ob die Einschaltung des Medizinischen Dienstes nach
§ 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V erforderlich ist, sieht die Begutachtungsanleitung Arbeitsunfähigkeit des GKV-Spitzenverbandes und des Medizinischen Dienstes Bund ein Versichertengespräch zur Einholung weiterer Informationen vor (Ziff. 3.1.3). Dort ist – anders als bei § 44 Abs. 4 SGB V – eine vorherige Einwilligung des Versicherten nicht vorgesehen. Die nach § 282 Abs. 2 Satz 3 SGB V alt (jetzt § 283 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V) erlassene Begutachtungsanleitung ist allerdings nur insoweit verbindlich, als sie den einzuhaltenden datenschutzrechtlichen Vorgaben entspricht.

In Angleichung an § 44 Abs. 4 SGB V empfehlen wir daher, auch im Rahmen des
§ 275 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V telefonische Kontaktaufnahmen nur nach vorheriger Information und dokumentierter Einverständnis des Versicherten in diese Form der Datenerhebung durchzuführen. Dabei werden die im Zusammenhang mit der Begutachtungsanleitung erhobenen Daten durch die Aufgabenerfüllung der Krankenkasse begrenzt. Keinesfalls wird durch die Begutachtungsanleitung eine über das Gesetz hinausgehende Erhebungsbefugnis eingeräumt.

Zugunsten einer verstärkten Sensibilität im Umgang mit Versicherten im Krankengeldbezug empfiehlt es sich ohnehin, direkte telefonische Kontaktaufnahmen, insbesondere bei Personen mit Diagnosen im psychotherapeutischen Bereich, zu vermeiden.

Wir bitten um Beachtung.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Beckschäfer