Gesetzliche Krankenversicherung - Outsourcing
Aufsichtsbehörden der Länder
GKV-SV
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Outsourcing von Aufgaben der Krankenkassen auf externe Dienstleister richtet sich, soweit es keine Spezialvorschrift gibt, nach § 197b SGB V in Verbindung mit der in § 97 SGB X verankerten Anzeigepflicht. Eine Auslagerung von Aufgaben auf Dritte im Sinne dieser Vorschrift kommt unter den Voraussetzungen des § 197b Satz 1 SGB V jedoch nur dann in Betracht, wenn nicht der Ausschlußtatbestand des § 197b Satz 2 SGB V einschlägig ist. Danach dürfen wesentliche Aufgaben zur Versorgung der Versicherten nicht in Auftrag gegeben werden. Die Krankenkasse hat beim Abschluss von Outsourcingverträgen darauf zu achten, dass der Vertragsinhalt keine ihr obliegenden Kernaufgaben zur Erfüllung der Versorgungsansprüche der Versicherten betrifft (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/3100 zu Nr. 142).
Nach ständiger Aufsichtspraxis des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) sind vor allem die einzelfallbezogene Sachbearbeitung im Rahmen der Leistungsgewährung sowie die individuelle Beratung wesentliche Aufgaben zur Versorgung des Versicherten, die nach § 197b Satz 2 SGB V nicht ausgelagert werden dürfen.
Diese Rechtsauffassung hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 8. Oktober 2019 (Az.: B 1 A 3/19 R) bestätigt. Gleichwohl werden dem BAS Verträge angezeigt, in denen Aufgaben der Leistungsgewährung, aber in diesem Zusammenhang auch der individuellen telefonischen Beratung von Versicherten, an private Dienstleister ausgelagert werden. Dies ist unzulässig und kann, soweit die Krankenkasse nicht rechtzeitig vor der Einleitung organisatorischer Maßnahmen zur Auslagerung in einen Dialog mit der Aufsichtsbehörde getreten ist, zur kostspieligen und organisatorisch problematischen Rückabwicklung solcher Verträge führen. Wir geben daher dazu die folgenden rechtlichen Hinweise:
1. Outsourcing von Beratungsleistungen
In seinem o. a. Urteil hat das BSG entschieden, dass eine Krankenkasse Unterstützungs- und Beratungsleistungen im Rahmen eines Versorgungs- und Entlassmanagements als Kernaufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung nicht auf Dritte übertragen darf. Das Gericht hat dabei auch bestätigt, dass generell Beratungsleistungen der Krankenkassen nicht auf Dritte im Sinne des § 197b Satz 2 SGB V ausgelagert werden dürfen, soweit keine spezielle Rechtsvorschrift dies ausdrücklich zulässt. Konkret führt das BSG aus:
„Wesentliche Aufgaben zur Versorgung der Versicherten dürfen nicht in Auftrag gegeben werden (§ 197b Satz 2 SGB V). Eine Regelung, die solche Aufgaben auf private Dritte überträgt, wäre ihrer Art nach nicht genehmigungsfähig. [...] . Zu diesen Kernaufgaben zählen gerade auch die auf eine bessere Versorgung der Versicherten gerichteten Beratungs- und Hilfeleistungen, sei es nach allgemeinen Vorschriften, sei es zur Unterstützung der Leistungserbringer bei einem Versorgungsmanagement oder selbsttätig im Rahmen des § 44 Abs 4 SGB V“ (BSG vom 8. Dezember 2019 (Az.: B 1 A 3/19 R), Juris-RdNr. 28)
Dies entspricht der langjährigen Aufsichtspraxis des BAS. Individuelle Beratungsleistungen insbesondere auf Grundlage von § 14 SGB I sind nicht ausgliederungsfähige Kernaufgaben der Kassen. Jede individuelle sozialrechtliche Beratung durch Dienstleister ist unzulässig.
Nicht beanstandet werden durch das BAS in seiner Aufsichtspraxis Verträge über Sonderhotlines zu spezifischen Themen (Bonusprogramme, Gesundheitstelefone) sowie Verträge zur Gewährleistung einer erweiterten telefonischen Erreichbarkeit über die Kernzeiten der Kassen hinaus und im Überlauf zu Spitzenzeiten. Auch dabei ist aber eine individuelle sozialrechtliche Beratung durch den Dienstleister unzulässig. Maximal dürften im Rahmen eines solchen Telefonats Fragen ohne rechtlichen Bezug (Adressänderungen etc.) erörtert oder die Versendung von Formularen angekündigt bzw. eingeleitet werden sowie allgemeine Informationen zu Leistungen der Kasse auf dem Niveau eines FAQ-Kataloges gegeben werden.
Für eine individuelle Beratung z. B. zur Prüfung und Erörterung von Anspruchsvoraussetzungen ist die Anfrage an die Krankenkasse weiterzugeben oder dem Versicherten ein Ansprechpartner zu benennen. Der Versicherte muss darauf vertrauen können, zu den Hauptgeschäftszeiten in der Regel mit einem Mitarbeiter der Kasse verbunden zu werden, der zu einer sozialrechtlichen Beratung befähigt und berechtigt ist. Der Versicherte sollte ggf. darüber informiert werden, dass er nicht mit der Krankenkasse, sondern einem Dienstleister mit eingeschränktem Auftrag verbunden ist.
2. Outsourcing von Aufgaben im Rahmen der Leistungsgewährung
Bereits in einer früheren Entscheidung zu Wettbewerbsfragen (Urteil vom 31. Mai 2016, Az. B 1 A 2/15 R, Juris-RdNr. 15) hatte das BSG ausdrücklich ausgeführt, dass die Leistungsgewährung an Versicherte eine Kernaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sei, die nicht auf Dritte übertragen werden dürfe. Das BSG hat das aktuelle Urteil zu weiteren grund-sätzlichen Ausführungen hierzu genutzt. Konkret heißt es dazu:
„Wesentliche Aufgaben zur Versorgung der Versicherten dürfen nicht in Auftrag gegeben werden (§ 197b Satz 2 SGB V). Eine Regelung, die solche Aufgaben auf private Dritte über-trägt, wäre ihrer Art nach nicht genehmigungsfähig. Sie beträfe nämlich die Leistungsgewährung an Versicherte, eine Kernaufgabe der KKn und der GKV (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzli-hen Krankenversicherung, BT-Drucks 16/3100 S 159; zum Ganzen BSGE 121, 179 = SozR 4-2500 § 194 Nr 1, RdNr 15; vgl BSGE 126, 277 = SozR 4-7610 § 812 Nr 8, RdNr 24) […]
Darauf, ob die Wahrnehmung der Aufgaben durch den Dritten wirtschaftlicher wäre oder im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen läge und Rechte der Versicherten nicht beeinträchtigt werden (§ 197b Satz 1 SGB V), kommt es damit nicht an. Ohne Belang ist auch, dass die Vertragsparteien selbst die von … durchzuführenden Leistungen als "Unterstützung" oder "Unterstützungsleistung" qualifizieren, welche nicht Aufgaben umfassten, die zum Kernbereich einer KK gehören. [...] Auch im Rahmen des Moduls 1.3 gehört zu den Aufga-ben von … nicht nur die Beratung und Analyse in Bezug auf Fallgruppen, sondern auch auf konkrete Einzelfälle. Ebenso ist die "Organisation und Durchführung von Fallkonferenzen" und die "gemeinsame Betrachtung von Leistungsfällen" vorgesehen. [...] Damit wird einem privaten Dritten ein erheblicher Einfluss auf die Fallbearbeitung der KK, einer ihrer Kernaufgabe, eingeräumt.“ (BSG vom 8. Dezember 2019 (Az.: B 1 A 3/19 R), Juris-RdNr. 28)
Das BSG hat damit nicht nur seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt, wonach gerade die Leistungsgewährung an Versicherte eine Kernaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, sondern auch dargelegt, dass es nicht darauf ankommt, ob die ausgelagerten
Leistungen als bloße „Unterstützungsleistungen“, die nicht zum Kernbereich der Versorgungsleistungen einer Krankenkasse gehören sollen, deklariert werden. Jede in irgendeiner Form auf die einzelfallbezogene Sachentscheidung einwirkende Tätigkeit ist Teil der Leistungsgewährung, die nicht ausgelagert werden darf.
Zur Begründung von Auslagerungsvorhaben werden von Krankenkassen immer wieder Fragen der Wirtschaftlichkeit und des wohlverstandenen Interesses der Versicherten angeführt. Das Gericht weist insoweit darauf hin, dass es darauf im Rahmen des § 197b Satz 2 SGB V nicht ankommt. Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzessystematik: Diese Kriterien sind nur im Rahmen von § 197b Satz 1 SGB V relevant.
Im Ergebnis kommt eine Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern ausschließlich bei Aufgaben außerhalb der einzelfallbezogenen Sachbearbeitung, also fiskalischen Hilfstätigkeiten wie dem Scannen und Indizieren der Eingangspost, der Datenannahme, oder reinen Postdienstleistungen in Betracht. Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die in keiner Weise durch Bearbeitung, Prüfung oder Selektion von Daten zum Entscheidungsprozess der Sachbearbeitung gehören. Jeder Prüfungsschritt etwa die Kostenerstattungsfähigkeit der Leistungen betreffend ist dagegen Fallbearbeitung und Teil der nicht auslagerungsfähigen Leistungsgewährung.
3. Umgehung des Outsourcingverbotes durch die Beauftragung von Arbeitsgemeinschaften
Dem BAS ist kürzlich eine Konstellation bekannt geworden, wonach eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) einer Mitgliedskasse ein Vertragsangebot zur Übernahme wesentlicher Auf-gaben zur Versorgung der Versicherten gemacht hat, um diese dann im Wege eines Unterauftrages an einen privaten Dienstleister weiterzugeben. Dies ist als eine unzulässige Umgehung des Outsourcingverbotes nach § 197b Satz 2 SGB V zu bewerten und wird aufsichts-rechtlich beanstandet.
Die Auslagerung von Aufgaben auf ARGEN richtet sich nach § 94 SGB X und unterliegt als solche nicht der Einschränkung des § 197b Satz 2 SGB V, soweit die beauftragende Kran-kenkasse Mitglied der ARGE ist. Ist sie nicht Mitglied, kann die ARGE, die deshalb ausdrücklich in § 197b Satz 1 SGB V genannt wird, ohnehin nur unter den Einschränkungen des § 197b SGB V beauftragt werden.
Im Falle einer Mitgliedschaft der Kasse in der ARGE liegt kein Outsourcing nach § 97 SGB X, sondern eine Beauftragung nach § 94 SGB X vor. Durch die gemeinsame Wahrnehmung der Aufgaben in einer ARGE mit entsprechenden Kontroll- und Einflussmöglichkeiten bleibt es weiter eine Aufgabenwahrnehmung durch die Kasse selbst, so dass eine weitergehen-dere Auslagerung möglich ist als beim Outsourcing nach § 97 SGB X.
Wird diese Aufgabe dann durch die ARGE jedoch an einen privaten Dienstleister ausgelagert, liegt darin eine unzulässige Umgehung. Ein Outsourcing, dass der einzelnen Kranken-kasse gesetzlich verboten ist (etwa gemäß § 197b SGB V), kann auch einer Gemeinschaft von Krankenkassen nicht erlaubt sein, zumal dann die gemeinsame eigene Aufgabenwahrnehmung, die den Sonderstatus der ARGEN allein begründet, nicht mehr gegeben ist.
Eine Auslagerung des Auftrages an einen privaten Dienstleister verstößt auch gegen § 88 Abs.1 Satz 1 SGB X, der gemäß § 94 Abs.4 SGB X für ARGEN entsprechend gilt. Diese Vorschrift bestimmt, dass eine Arbeitsgemeinschaft Aufgaben der einzelnen Mitglieder wahrnehmen kann, wenn dies wegen des sachlichen Zusammenhangs der Aufgaben der Mitglieder, zur Durchführung der Aufgaben und im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen zweckmäßig ist. Die Beauftragung einer ARGE mit einer Aufgabe, die sie selbst fachlich oder personell nicht oder nicht vollständig wahrnehmen kann und deshalb ihrerseits an einen pri-vaten Dienstleister auslagert, ist in diesem Sinne nicht zweckmäßig, da die angestrebte ge-meinsame eigene Aufgabenwahrnehmung gerade nicht möglich ist.
Die Auslagerung ist zudem auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen, zu denen auch die Versicherten zählen, da auf diesem Wege ein gesetzlich vorgesehener Schutzmechanismus für die Versicherten ausgehebelt wird.
Wir bitten bis zum 20.06.2021 um Übersendung einer Übersicht aller Verträge Ihrer Krankenkasse mit Arbeitsgemeinschaften, in denen Aufgaben im Rahmen der Leistungsgewährung oder Beratung ausgelagert werden. Wir bitten weiter ggf. im Kontakt mit der ARGE zu prüfen, ob eine Unterbeauftragung von privaten Dienstleistern erfolgt. Fehlanzeige ist erforderlich.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Beckschäfer