Rundschreiben KV
17. Juni 2020

Gesetzliche Krankenversicherung - Vertragswesen -

An
An alle bundesunmittelbaren Krankenkassen
nachrichtlich
BMG
Aufsichtsbehörden der Länder
GKV-Spitzenverband

Gesetzliche Krankenversicherung - Vertragswesen -
Hilfsmittelversorgung: Abschluss von Verträgen der Krankenkassen mit Leistungserbringern gemäß § 127 Abs. 1 und 2 SGB V; Vertragsinformationen nach § 127 Abs. 6
SGB V; Stichproben- und Auffälligkeitsprüfungen nach § 127 Abs. 7 Satz 1 SGB V; Sicherstellung von Vertragsstrafen nach § 127 Abs. 7 Satz 6 SGB V

Sehr geehrte Damen und Herren,
das Bundesamt für Soziale Sicherung erreichen Beschwerden von Versicherten und Leistungserbringern über das Verwaltungshandeln von Krankenkassen im Rahmen der Hilfsmittelversorgung.
Auch Prüfungen nach § 274 Fünftes Sozialgesetzbuch - SGB V bestätigen, dass die Umsetzung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes (HHVG) und des Terminservice-
und Versorgungsgesetzes (TSVG) noch nicht flächendeckend erfolgt ist. Wir nehmen dies zum Anlass, den Umsetzungsstand strukturiert zu prüfen.
Wir bitten um Benennung Ihrer Vertragspartner, sortiert nach den einzelnen Bundesländern, in Bezug auf sämtliche Produktgruppen und -arten. Gerne können Sie dafür die in der Anlage befindliche Tabelle nutzen. Bitte beschränken Sie sich in Ihrer Mitteilung der Vertragspartner auf die wesentlichen Informationen wie Name und Adresse der Leistungserbringer.
Auch wenn Arbeitsgemeinschaften für Sie Verträge geschlossen haben, bitten wir um Benennung der Leistungserbringer. Wir begrüßen die Übersendung der Vertragspartnerlisten per E-Mail an referat211@bas.bund.de.
In der Praxis haben wir festgestellt, dass viele Krankenkassen nicht in ausreichendem Maße in allen Produktgruppen sowie -arten Verträge nach § 127 Abs. 1 und 2 SGB V abgeschlossen haben. Aus dieser Verwaltungspraxis resultiert, dass oft erst bei Eintritt eines Versicherungsfalles Einzelverträge nach § 127 Abs. 3 SGB V geschlossen werden. Wir weisen Sie darauf hin, dass dies nicht der geltenden Gesetzeslage entspricht:
Nach § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, für alle gängigen Produktgruppen Verträge mit Leistungserbringern zu schließen, um eine wohnortnahe, flächendeckende Versorgung ihrer Versicherten im Sachleistungssystem zu gewährleisten. Die Pflicht zu Vertragsabschlüssen korrespondiert mit dem Anspruch der Versicherten nach § 33 Abs. 6 SGB V auf Versorgung mit Hilfsmitteln, der sich auf die Inanspruchnahme von Leistungserbringern beschränkt, mit denen die Krankenkassen Verträge abgeschlossen haben.
Wir verweisen auch auf unsere Rundschreiben „Verträge der Hilfsmittelversorgung nach § 127 SGB V - Vertragsverhandlungen und Inhaltskontrolle der Verträge“ vom 28. Dezember 2010 (AZ: II 2-5471.1 1077/2010), „Verträge zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln gemäß § 127 SGB V“ vom 20. Juli 2017 (AZ: 211-5417.1-1077/2010) sowie „Unwirksamwerden der nach § 127 Abs. 1 SGB V a.F. abgeschlossen Verträge mit Ablauf des 30. November 2019“ vom 2. Oktober 2019 (AZ: II 2-5471.1 1077/2010), abrufbar unter www.bundesamtfürsozialesicherung.de.
Die Leistungserbringer müssen sich um vertragliche Beziehungen mit den Krankenkassen bemühen (vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 141). Die Krankenkassen müssen ihrerseits ihrer gesetzlichen Pflicht zu Vertragsverhandlungen nach § 127 Abs. 1 Satz 1 SGB V nachkommen, indem sie jedem Leistungserbringer, der mit ihnen in Kontakt tritt, solche Vertragsverhandlungen anbieten und für Gespräche zur Verfügung stehen. Anschließend sind sie dazu verpflichtet, die Vertragsangebote der Leistungserbringer entgegenzunehmen, ernsthaft zu prüfen sowie den Leistungserbringern ihre Entscheidung mitzuteilen. Dabei haben die Krankenkassen das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V zu beachten, wonach sie zum Abschuss wirtschaftlicher Vertragsabschlüsse verpflichtet sind.
Den bestehenden Verträgen nach § 127 Abs. 1 SGB V können weitere Leistungserbringer zu den gleichen Bedingungen nach § 127 Abs. 2 Satz 1 SGB V beitreten. Auch hier sind Vertragsverhandlungen zu ermöglichen.
Mit dem Medizinprodukte-Anpassungsgesetz-EU (MPEUAnpG) hat der Gesetzgeber ein Schiedsverfahren in § 127 Abs. 1a SGB V eingeführt, sodass bei einer Nichteinigung der
streitige Inhalt der Verträge nach § 127 Abs. 1 SGB V auf Anruf einer der Verhandlungspartner durch eine von den jeweiligen Vertragspartnern zu bestimmende unabhängige
Schiedsperson innerhalb von drei Monaten ab Bestimmung der Schiedsperson festgelegt wird. Einigen sich die Vertragspartner nicht auf eine Schiedsperson, so wird diese von der
zuständigen Aufsichtsbehörde bestimmt.

Nach § 127 Abs. 3 SGB V besteht auch die Möglichkeit, Einzelfallvereinbarungen zu treffen. Diese Art des Vertragsabschlusses stellt jedoch eine Ausnahme gegenüber den Verträgen nach § 127 Abs. 1 und 2 SGB V dar (vgl. KassKomm/Nolte, 103. EL März 2019, SGB V, § 127 Rn. 15). Eine Einzelfallvereinbarung kann getroffen werden, wenn der Aufwand für eine Vertragsanbahnung nach § 127 Abs. 1 SGB V, etwa wegen des besonderen Versorgungsbedarfs eines Versicherten, wirtschaftlich nicht zweckmäßig wäre (vgl. BT-Drs.19/8351 zu Nr. 68 Buchstabe a).
Mit Inkrafttreten des HHVG zum 11. April 2017 sind die Krankenkassen nach § 127 Abs. 7 SGB V verpflichtet, die Einhaltung der vertraglichen und gesetzlichen Pflichten (soweit diese sich aus dem SGB V ergeben) durch ihre Vertragspartner in der Hilfsmittelversorgung zu überwachen. Zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung führen die Krankenkassen Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durch. Zudem haben sie vertraglich sicherzustellen, dass Verstöße der Leistungserbringer angemessen geahndet werden; schwerwiegende Verstöße sind den Präqualifizierungsstellen mitzuteilen.
Wir weisen hierzu auf die Rahmenempfehlungen des GKV-Spitzenverbandes zur Sicherung der Qualität in der Hilfsmittelversorgung gemäß § 127 Abs. 5b SGB V a.F. (§ 127 Abs. 8
SGB V n.F.) vom 26. Juni 2017. Die Rahmenempfehlungen beinhalten Vorschläge, nach welchen Kriterien die Qualität in der Hilfsmittelversorgung geprüft werden kann. Es werden
Auffälligkeiten und Anlässe benannt, die grundsätzlich von den Kassen herangezogen werden können, um weitergehende Prüfungen und Maßnahmen durchzuführen. Anlässe und
Auffälligkeiten sind z.B. Beschwerden der Versicherten, Datenauswertungen, Auswertungen von Unterlagen und Dokumentationen, Versichertenbefragungen oder Bewertungen des
MDK. Der Verwaltungsaufwand muss für die Krankenkassen angemessen sein und es obliegt letztlich ihnen zu entscheiden, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln sie die Qualitätsprüfung durchgeführt wird.
Auffälligkeitsprüfungen kommen insbesondere in Frage, wenn sich Versicherte über Leistungserbringer beschweren, bei einem Leistungserbringer ungewöhnlich häufig vorzeitige
Wiederversorgungen stattfinden, es wiederholt zu Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung und in Kostenvoranschlägen kommt oder ein Leistungserbringer deutlich häufiger als andere Leistungserbringer Mehrkostenvereinbarungen abschließt (BT-Drs. 18/10186, S. 34).
Die Leistungserbringer sind nach § 127 Abs. 7 Satz 3 SGB V verpflichtet, den Krankenkassen auf Verlangen die für die Prüfungen erforderlichen einrichtungsbezogenen Informationen und Auskünfte zu erteilen sowie von den Versicherten unterzeichnete Bestätigungen über die Durchführung der Beratung nach § 127 Abs. 5 Satz 1 SGB V vorzulegen. Mit Einwilligung des Versicherten können die Krankenkassen auch dessen personenbezogene Dokumentation über den Verlauf der Versorgung anfordern.
Uns liegen Erkenntnisse vor, dass die Krankenkassen ihrer durch die Vorschrift des § 127 Abs. 7 SGB V begründeten Verpflichtung zu Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen bislang nicht oder nicht in ausreichendem Maße nachgekommen sind. Wir bitten um Mitteilung, ob und - wenn ja - wie (z.B. mittels Versichertenbefragung) und mit welchem Ergebnis Sie Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen nach § 127 Abs. 7 SGB V durchgeführt haben. Im Kontext der Pflicht, Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durchzuführen, möchten wir auch die Mehrkosten im Bereich der Hilfsmittelversorgung betrachten. Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 SGB V ist in den Verträgen eine hinreichende Anzahl an mehrkostenfreien
Hilfsmitteln sicherzustellen. Die medizinisch notwendige Hilfsmittelversorgung hat aufzahlungsfrei zu erfolgen. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die
über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie nach § 33 Abs. 1 Satz 6 SGB V die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen. Die Versicherten sind nach § 127 Abs. 5 Satz 4 SGB V vor der Wahl des Hilfsmittels auch über die von ihnen zu tragenden Mehrkosten durch die Leistungserbringer zu informieren. Die Leistungserbringer haben nach § 127 Abs. 5 Satz 5 SGB V die Beratung über die Mehrkosten schriftlich oder elektronisch zu dokumentieren und sich durch Unterschrift der Versicherten bestätigen zu lassen. Auch insoweit liegen uns Erkenntnisse vor, dass Versicherte, die Mehrkosten zu tragen hatten, diesbezüglich oft nicht aufgeklärt worden sind bzw. es an der Dokumentation der Aufklärung gefehlt hat. Im Rahmen ihrer Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen haben die Krankenkassen zu prüfen, ob eine mehrkostenfreie Versorgung ihrer Versicherten sichergestellt ist und die Leistungserbringer ihrer Informationspflicht bzgl. der zu tragenden Mehrkosten in ausreichendem Maße nachkommen.
Wir bitten Sie, uns darüber zu informieren, ob Sie die Dokumentation bzgl. der Beratung über die Mehrkosten und die Bestätigung der Versicherten über die Beratung anfordern und -
wenn ja - welche Schlüsse Sie aus den Ihnen vorgelegten Dokumentationen bislang gezogen haben.
Die Leistungserbringer müssen die gesetzlichen und vertraglich eingegangenen Anforderungen während der gesamten Vertragslaufzeit vollumfänglich erfüllen. Nach § 127 Abs. 7
Satz 6 SGB V stellen die Krankenkassen vertraglich sicher, dass Verstöße der Leistungserbringer gegen ihre vertraglichen und gesetzlichen Pflichten nach diesem Gesetz angemessen geahndet werden. Eine Ahndung von Pflichtverstößen kann solange nicht erfolgen, wie die Krankenkassen keine Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen durchführen.

Wir bitten um Information, ob Sie in den Verträgen eine Regelung getroffen haben, die eine Ahndung und die Folgen bei Verstößen der Leistungserbringer gegen ihre vertraglichen und gesetzlichen Pflichten vorsieht. Abschließend bitten wir um Mitteilung, wie Sie Ihrer Informationspflicht gegenüber Ihren Versicherten bzgl. der zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und der wesentlichen Vertragsinhalte nach § 127 Abs. 6 SGB V nachkommen.
Sollte eine Erledigung bis zum 20. Juli 2020 nicht möglich sein, bitten wir um schriftliche Mitteilung der Hinderungsgründe. Wir bedanken uns für Ihre Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen
Domscheit
Anlage (PDF / 57,75 KB)